Hauptziele der Sommerschule sind die internationale Verständigung und der akademische Austausch zwischen den zukünftigen Eliten der beteiligten Länder. Gemeinsames Lernen soll Interesse am und Verständnis für das „Andere“ wecken, verschiedene Aktivitäten sollen „Neues“ erfahrbar machen.
Die Sommerschule „DIKAIOSYNE 510855 N 712248 O – Sommerschule zum vergleichenden Verfassungsrecht“ wird an der Kasachischen Geisteswissenschaftlichen und Juristischen Universität, KAZGUU stattfinden. Gastgeber und Organisator wird die Juristische Fakultät der KAZGUU Astana sein. Partner der Sommerschule werden die Juristischen Fakultäten der Universität Hamburg, der Jagiellonen-Universität Krakau, der Karlsuniversität Prag, der Karl-Franzens-Universität Graz und der Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest sein.
Die Sommerschule steht in der Tradition der Sommerschule DIKAIOSYNE, die zweimal in Prag an der Juristischen Fakultät der Karlsuniversität und viermal in Budapest an der Juristischen Fakultät der ELTE stattfand. Erweitert um die geographischen Koordinaten der KAZGUU und reduziert auf einen Verfassungsvergleich soll mit dem Namen der Sommerschule einerseits Kontinuität aufgezeigt und andererseits die Verlagerung nach Astana sichtbar gemacht werden.
Dikaiosyne, die griechische Göttin der staatlichen Gerechtigkeit, ist zwar weniger bekannt als die römische Justitia. Auch der große römische Jurist Celsus, dessen bekannte Definition des Rechts als der „Wissenschaft vom Guten und Billigen“ sich auch auf der Statue der Justitia vor dem Gebäude der KAZGUU findet, ist sicherlich bekannter. Aber die Frage, was staatliches Handeln „gerecht“ macht ist eine Frage, die in der Vergangenheit viele Menschen bewegte, in der Gegenwart hitzige Diskussionen verursacht und auch in Zukunft immer wieder diskutiert werden wird. Daher kann der Name für eine Sommerschule, die sich mit den Regeln der Organisation des Staates beschäftigt, nicht besser gewählt werden.
Die Regeln der Organisation des Staates spielen in der Ausbildung an Juristischen Fakultäten traditionell eine große Rolle. Jeder Studierende der Rechtswissenschaft kann für sein Studienland die Rolle des Parlaments, die Kompetenzen des Staatsoberhaupts oder die Möglichkeiten der Kontrolle staatlichen Handelns durch ein Verfassungsgericht recht früh in der juristischen Ausbildung benennen. Was jedoch keine große Rolle spielt, ja nur sehr untergeordnet gelehrt wird, ist ein Vergleich dieser Regeln in verschiedenen Staaten, das vergleichende Verfassungsrecht. Nun könnte man einwenden, das sei auch nicht notwendig, denn es gibt keinen gemeinsamen Standard für die Organisation eines Staates, weder in Europa noch irgendwo anders. Dies ist jedoch eine sehr verkürzte Sichtweise. Auch bei der Organisation des Staates sind einerseits verschiedene Rechtsakte der Vereinten Nationen zur Beachtung grundlegender Menschrechte zu berücksichtigen. Man denke nur an das Recht auf Teilnahme an allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen. Andererseits lassen sich auch ohne einen gemeinsamen Standard für die gesamte Organisation eines Staates Institutionen unterschiedlicher Staaten und damit die Staatsorganisation vergleichen.
Dieser Vergleich der Institutionen und ihrer Aufgaben, wie sie in der Verfassung Gestalt gefunden haben, ist aber mehr als ein schlichter Vergleich der Rechtsnormen. Es gilt, zwischen geschriebener und gelebter Verfassungsordnung zu unterscheiden. Aber nicht nur die gelebte, sondern erst recht die geschriebene Verfassung ist Ausdruck politischer, ideologischer, historischer und kultureller Erfahrungen und Überzeugungen. Somit erlaubt der Verfassungsvergleich einen Erkenntnisgewinn, der weit über die schlichte Feststellung der Unterschiedlichkeit oder Gleichheit verschiedener Institutionen der Verfassung hinausgeht.
Um den Studierenden einen Überblick über den Verfassungsvergleich zu geben, wird die Sommerschule mit einer Einführung in den Verfassungsvergleich und dessen Methodologie beginnen. Da es für das Verständnis des jeweils anderen unerlässlich ist, dessen Herkunft zu kennen, wird sich die Sommerschule mit der Geschichte und dort speziell der Verfassungsgeschichte der beteiligten Länder befassen. Auch wird es so für die Studierenden möglich, unterschiedliche historische Entwicklungen und Traditionen, die auf die aktuelle Gesellschaft einwirkten, nachzuvollziehen.
Ein weiteres Thema der Sommerschule werden „Verfassungsgebung und Verfassungsänderung“ sein. Ungarns neue Verfassung aus dem Jahr 2011, die polnische Verfassung des Jahres 1997 und die kasachische aus dem Jahr 1995, aber auch die Verfassungen der anderen beteiligten Länder bieten Anlass, sich den unterschiedlichen Voraussetzungen für den Erlass einer neuen Verfassung, der Verfassungsgebung, zu widmen. Davon zu unterscheiden ist die Verfassungsänderung. Hier soll einerseits betrachtet werden, wie starr oder flexibel die jeweiligen Verfassungen sind und welche Verfahrensregeln im Fall einer möglichen Änderung einzuhalten sind. Andererseits soll verglichen werden, was geändert werden kann – alles oder gibt es Bereiche der Verfassung, die stärker geschützt oder gar änderungsfest sind.
Anknüpfend an die Änderung der Verfassung der Republik Kasachstan im Jahr 2017, durch welche unter anderem ein Teil der Befugnisse des Präsidenten auf das Parlament übertragen wurden – ein „was“ kann geändert werden – wird sich die Sommerschule mit der Rolle des Staatsoberhaupts/Präsidenten in den verschiedenen Verfassungsordnungen beschäftigen. Hier sind interessante Erkenntnisse für die Studierenden zu erwarten. Betrachtet man die Kompetenzen z.B. des österreichischen Bundespräsidenten, so entsprechen diese dem Text der Verfassung nach fast denen des Reichspräsidenten der Weimarer Republik. In der „gelebten“ Verfassungsordnung ist man jedoch von einer „Weimarer“-Ausübung der Kompetenzen in Österreich weit entfernt.
Die Sommerschule wird auch die Wahlsysteme der einzelnen Länder vergleichen. Hierbei soll nicht nur nach Mehrheits-, Verhältnis- oder Mischwahlsystem gefragt werden, sondern vertieft die Frage nach den möglichen Zielen des Wahlsystems und deren Umsetzung in den jeweiligen Systemen einbezogen werden.
Daran anschließend und auch wieder mit Bezug zur Änderung der Verfassung der Republik Kasachstans werden die Parlamente und die Position der Abgeordneten in den Blick genommen. Die Übertragung von Kompetenzen des Präsidenten Kasachstans auf das Parlament Kasachstans eröffnet die Frage nach den Kompetenzen der Parlamente in den anderen Staaten. Welche Rolle spielen die Parlamente? Wie überwacht das Parlament die Regierung? Kann es die gesamte Regierung oder auch einzelne Minister absetzen? Welche Folgen hat all dies für das Verhältnis der Institutionen zueinander und somit für die Gewaltenteilung? Ebenfalls soll die Stellung der Abgeordneten verglichen werden – welche Rechte haben diese und wie ist die Arbeit des Parlaments organisiert.
Neben der Rolle des Staatsoberhaupts knüpft ein weiteres Thema an die Verfassungsänderung in Kasachstan im Jahr 2017 an. Mit dieser wurde die Rolle des Verfassungsrats gestärkt. Somit ist es naheliegend, sich mit der Rolle dieses Organs, welches die Verfassung und die Rechtsordnung schützen soll, auseinanderzusetzen. Welche Kompetenzen hat dieses Organ in den einzelnen Verfassungsordnungen? Wie sind die Wege zu diesem Organ? Wie werden die Personen ausgewählt, die in diesem Organ tätig sind?
Insgesamt soll die Sommerschule den Studierenden ein Bild von verschiedenen Möglichkeiten der Staatsorganisation, ihren Chancen und Risiken aufzeigen. Durch den akademischen Austausch zwischen zukünftigen Eliten der jeweiligen Länder soll Verständnis für das „Andere“ geweckt werden. Die gemeinsame Erarbeitung von Problemlösungen soll das „Neue“ der jeweils unbekannten Verfassungsordnung erfahrbar machen. Das Verständnis des „Anderen“ soll aber auch helfen, neue Erkenntnisse über das eigene Recht zu gewinnen. Nur der berühmte „Blick über den Tellerrand“ ermöglicht ein Erkennen der Relativität des eigenen Rechts. Die Studierenden werden begreifen, dass die eigene Rechtsordnung – auch wenn dies häufig angenommen wird – keinen grundsätzlichen Charakter hat. Auch werden die Studierenden erkennen, dass Verfassungsvergleich keine übernationale Rechtsvereinheitlichung zum Ziel hat. Sie werden das Potential des Verfassungsvergleichs bei der Vorbereitung einer neu zu erlassenden nationalen Verfassung und der Weiterentwicklung und Verbesserung einer nationalen Verfassung am Ende der Sommerschule vollständig erfasst haben.
Zwar liegt der Schwerpunkt der Sommerschule im juristischen Bereich – nicht nur im Unterricht, sondern es sind Besuche beim Verfassungsrat und beim Parlament Kasachstans am Tag der Verfassung, 30.08. geplant – aber die Studierenden sollen auch die Natur und die Geschichte Kasachstans kennenlernen. Aus diesem Grund sind Besuche in der Gedenkstätte des Lagers „ALZHIR“ und Ausflüge zum einen in die Steppe, zum anderen in einen Nationalpark in der Nähe Astanas geplant.
Michael Wilding, DAAD-Fachlektor für deutsches Recht, KAZGUU Astana
The main goals of the Summer School are international understanding and academic exchange between the future elites of the participating countries. Learning together should arouse interest in and understanding for the "other", various activities should make "new things" tangible.
The Summer School "DIKAIOSYNE 510855 N 712248 O - Summer School on Comparative Constitutional Law" will take place at the Kazakh Humanities and Law University, KAZGUU. Host and organizer will be the Faculty of Law of KAZGUU Astana. Partners of the summer school will be the law faculties of the University of Hamburg, Jagiellonian University Krakow, Charles University Prague, Karl Franzens University Graz and Eötvös Loránd University (ELTE) Budapest.
The Summer School follows the tradition of the Summer School DIKAIOSYNE, which took place twice at the Faculty of Law of Charles University in Prague and four times at the Faculty of Law of ELTE in Budapest. Extended by the geographical coordinates of the KAZGUU and focussing on a comparison of the constitutional law, there will be continuity as well as fresh impulses through the relocation to Astana.
Dikaiosyne, the Greek goddess of equity, is less well known than Roman Justitia. The great Roman lawyer Celsus, whose well-known definition of law as the "ars boni et aequi" can also be found on the statue of Justitia in front of the KAZGUU building, is certainly better known.
But the question of what makes state action equitably is a question that has moved many people in the past, caused heated discussions in the present and will continue to be discussed in the future. Therefore, the name of a summer school dealing with the rules of state organization cannot be better chosen.
The rules of state organisation have traditionally played an important role at law schools. Every student of law can name the role of parliament, the competences of the head of state or the possibilities of control made by a constitutional court quite early. What does not play a major role, however, and is taught very little is a comparison of these rules, comparative constitutional law. One could argue that this is not necessary either, because there is no common standard for the organisation of a state, neither in Europe nor anywhere else.
However, this is a very shortened view. The organisation of a state must take into account, on the one hand, various legal acts of the United Nations for the observance of fundamental human rights. Just think of the right to universal, equal and secret suffrage. On the other hand, institutions of different states and thus the state organisation can be compared even without a common standard for the entire organisation of a state.
However, this comparison of the institutions and their tasks, as they have taken shape in the Constitution, is more than a simple comparison of legal norms. A distinction must be made between the written and the actually applied constitutional order. But not only the actually applied, but even more so the written constitution is an expression of political, ideological, historical and cultural experiences and convictions. Thus, the constitutional comparison allows a gain in knowledge that goes far beyond the simple determination of the difference or equality of different institutions of the constitution.
To give students an overview of the constitutional comparison, the Summer School will begin with an introduction to the constitutional comparison and its methodology. As it is essential to understand each other's origins, the Summer School will deal with the history and there especially the constitutional history of the participating countries. This also makes it possible for the students to understand different historical developments and traditions that influenced current societies.
Another topic of the summer school will be "Constitution making and amending the Constitution". Hungary's new constitution of 2011, the Polish constitution of 1997 and the Kazakh constitution of 1995, but also constitutions of other countries involved, offer an opportunity to address the different conditions for the adoption of a new constitution. A distinction must be made between the adoption of a new constitution and the constitutional amendment. On the one hand, it is to consider how rigid or flexible the respective constitutions are and which procedural rules must be observed in the event of a possible amendment. On the other hand, it should be compared what can be changed - everything or are there areas of the constitution that are more protected or even "amending-proof".
Following the amendment of the Constitution of the Republic of Kazakhstan in 2017, which among other things transferred some of the powers of the President to parliament - a "what" can be changed - the Summer School will deal with the role of Head of State/President in the various constitutional orders. Here, interesting findings are to be expected for the students. If one considers the competences of the Austrian Federal President, for example, these correspond almost to those of the President of the Weimar Republic according to the text of the Constitution. In the actually applied constitutional order, however, the Austrian president is far from exercising the powers in a way the president in Germany did during the Weimar Republic.
The Summer School will also compare the electoral systems of the countries. The aim is not only to ask about majority, proportional or mixed voting systems, but also to consider in depth the possible objectives of the voting system and their implementation in the respective systems.
Subsequently, and again with reference to the amendment of the Constitution of the Republic of Kazakhstan, the parliaments and the position of the MPs will be taken into consideration. The transfer of powers from the President of Kazakhstan to the parliament of Kazakhstan raises the question of the powers of the parliaments in the other states. What is the role of parliaments? How does Parliament monitor the government? Can the parliament dismiss the entire government or even individual ministers? What are the consequences of all this for the relationship between the institutions and thus for the separation of powers? The position of MPs will also be compared - what rights do they have and how is the work of the Parliament organised.
In addition to the role of head of state, another issue is linked to the constitutional amendment in Kazakhstan in 2017. This strengthened the role of the Constitutional Council. It is therefore obvious to look at the role of this body, which is intended to protect the constitutional order. What powers does this body have in the individual constitutional orders? How are the ways to this institution? How are the persons working in this body selected?
All in all, the summer school should give students an idea of the various possibilities of state organisation. The academic exchange between future elites of the respective countries is intended to awaken understanding for the "other". The joint development of solutions to problems should make the "new" of the respective unknown constitutional order tangible. However, the understanding of the "other" should also help to gain new insights into one's own law. Only this makes it possible to recognize the relativity of one's own right. The students will understand that their own legal system - even if this is often assumed - has no fundamental character. The students will also recognize that a constitutional comparison does not aim at supranational unification. They will have fully grasped the potential of the constitutional comparison in the preparation of a new national constitution to be adopted and the further development and improvement of a national constitution at the end of the summer school.
Although the main focus of the summer school is in the field of law - not only in teaching, but visits to the Constitutional Council and Kazakhstan's parliament are planned for Constitution Day, 30 August - students should also get to know the nature and history of Kazakhstan. Therefor field trips are scheduled to the "ALZHIR" memorial as well as to the steppe and a national park near Astana.
Michael Wilding, DAAD Lecturer for German Law, KAZGUU Astana